Herr Dr. Krieglsteiner, Sie beschäftigen sich seit Ihrer frühen Kindheit mit der Erforschung von Pilzen. Wie kam es dazu?
Mein Vater German Josef Krieglsteiner war selbst ein bekannter Pilzexperte. Er war viele Jahre lang Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Mykologie[1] und Herausgeber einiger wichtiger Standardwerke über Großpilze. Während meiner Kindheit und Jugend haben wir häufig gemeinsame Exkursionen durch die Schwäbischen Wälder unternommen und zusammen über Bestimmungsbüchern und dem Mikroskop gebrütet. Im Prinzip mache ich heute immer noch das Gleiche.
Die meisten Menschen kennen nur essbare Pilze und ihre giftigen Verwechslungspartner. Mit welchen Pilzen beschäftigen Sie sich?
Natürlich esse ich privat auch ab und zu gerne Pilze, aber mein wissenschaftliches Interesse gilt der Artenvielfalt und der ökologischen Bedeutung verschiedener Pilzgruppen. Neben den bedeutsamen Mykorrhiza-Pilzen, zu denen auch viele essbare Pilze gehören, gibt es zum Beispiel die Saprobionten, die sich unter anderem auf abgestorbenen Bäumen entwickeln können, oder die Saftlingsgesellschaften, deren Vorkommen viel über die Bodenqualität und den Zustand eines Lebensraums verraten.
Sie haben im Waldbiotop Schwäbische Alb der Heinz Sielmann Stiftung insgesamt 691 Pilzarten entdeckt, darunter einen Neufund für Deutschland und einige Arten, die auf der Roten Liste stehen. Wie ordnen Sie diese Funde ein?
Man muss bei der Angabe von Neufunden oder dem Gefährdungsstatus von Pilzen sehr vorsichtig sein. Die Bestimmung ist in vielen Fällen sehr schwierig und aufwendig. Viele Arten kann man nur unter dem Mikroskop, manche nur durch eine genetische Analyse sicher bestimmen. Es gibt wenige gute Pilzkenner und die Mittel zur Analyse sind begrenzt. Entsprechend dünn ist die Datenlage. Mein Monitoring im Waldbiotop bei Weißenstein fand über einen langen Zeitraum statt. Insofern ist eine größere Artenvielfalt nicht erstaunlich. In naturnahen Habitaten findet man immer auch etliche bemerkenswerte und schützenswerte Arten. Sehr vielfältig war zum Beispiel das Vorkommen von Rindenpilzen. Das sind flächig wachsende Pilze, die meist auf Holz zu finden sind. Ihre Vielfalt zeigt, wie wertvoll naturnahe Altwälder für den Pilzschutz sind.
Welche Pilzarten fanden Sie besonders interessant?
Es gab zahlreiche sehr interessante Funde. Das Österreichische Stromakissen[2] ist ein Pilzparasit und wurde bislang in Deutschland noch nicht dokumentiert. Der Parasit befällt den Dornigen Wachsrindenschwamm[3], den ich mehrmals an totem Laubholz entdeckt habe. Parasiten sorgen dafür, dass ihre Wirte sich weniger ausbreiten und tragen so zur Artenvielfalt bei. Bemerkenswert ist auch der Fund des seltenen Grünblättrigen Buntblatt-Schirmlings[4]. Für mich persönlich erst der zweite Fund überhaupt. Schirmlinge zersetzen organische Reste zu Nährstoffen, die Pflanzen verwerten können und sind Nahrungsquelle für verschiedene Tiere wie Insekten, Schnecken und Kleinsäuger. Ich habe auch ein hohes Vorkommen einer seltenen Flechten-Art, der Holz-Flechtenkeule[5] erfasst. Dabei handelt es sich um einen Pilz, der seine Ernährung über die Photosynthese von Grünalgen bestreitet und teils sehr empfindlich gegen Umweltbelastungen, besonders gegen Luftverschmutzung ist.
Werden Pilze hinsichtlich ihrer ökologischen Bedeutung zu wenig beachtet?
Auf jeden Fall. Vermutlich gibt es ein Vielfaches mehr an Arten, als bisher bestimmt worden sind. Wir wissen auch noch viel zu wenig darüber, welche Arten in bestimmten Regionen vorkommen und wie häufig oder selten sie sind. Genauso ist die Lebensweise der Pilze noch zu wenig erforscht. Dabei spielen sie eine essenzielle Rolle in unseren Landökosystemen. Über 80 Prozent aller Landpflanzen gehen Symbiosen mit Pilzen ein. Die Humusbildung, der Wasserhaushalt, die Nährstoffverteilung und vieles mehr werden maßgeblich von Pilzen beeinflusst. Leider verschlechtern sich ihre Lebensbedingungen zunehmend.
Wodurch sind die Pilze aktuell am meisten bedroht?
In meinen Augen stellt der Stickstoffeintrag durch Luft und Wasser, verursacht durch Landwirtschaft, Verkehrsabgase und Industrie, die größte Gefahr für die Pilze dar. Die meisten Mykorrhiza-Pilze, Saftlingsgesellschaften und viele weitere Pilzgruppen sind an nährstoffarme Bedingungen angepasst und nur auf ungedüngten Böden vorzufinden. Auf der Schwäbischen Alb lässt sich exemplarisch gut beobachten, dass an Stellen, die von Stickstoff belastet sind, solche Pilze nicht wachsen. Das sind zum Beispiel Flächen, die mit stickstoffbelastetem Wasser in Berührung kommen, das von bewirtschafteten Hochflächen versickert. Oder auch Flächen, die nahe an Windschneisen liegen, an Wegen oder Lichtungen, die den Eintrag über den Wind erleichtern.
Welche Naturschutzmaßnahmen können helfen?
Naturnahe Lebensräume wie das Waldbiotop Schwäbische Alb sind sehr wichtig, wenn es um den Erhalt der Pilze geht. Solche kaum bewirtschafteten Waldgebiete sind von unschätzbarem Wert, denn hier können alte und absterbende Bäume sich selbst überlassen werden und den Pilzen als Lebensgrundlage dienen. Ansonsten ist die Verminderung des Stickstoffeintrags sicherlich die größte Stellschraube, wenn es um den Schutz der Pilze und vieler gefährdeter Pflanzen geht. Keine einfache Aufgabe, aber eine, die wir unbedingt angehen müssen, wenn wir unsere Lebensgrundlagen erhalten wollen.
ZUR PERSON
Dr. Lothar Krieglsteiner, geboren 1965, lebt mit seiner Frau Katharina im Schwäbischen Wald (Naturpark-Region östlich von Stuttgart) und leitet dort mit ihr zusammen eine Pilzschule. Beide bieten Seminare und Ausbildungen über Pilze und Pflanzen für alle interessierten Menschen an. Ein großes Anliegen der beiden ist es, das Wissen über die Vielfalt und Gefährdung der Pilze zu verbreiten. Mehr als 50 wissenschaftliche Publikationen, überwiegend im Bereich Biodiversität von Pilzen, sind bislang von ihm erschienen, zudem hat er als Allein- und Coautor zehn Erst-Beschreibungen von Pilzarten verfasst.
[1] Pilzkunde
[2]Trichoderma austriacum
[3]Eichleriella deglubens
[4]Melanophyllum eyrei
[5]Multiclavula mucida