Der 2006 verstorbene Tierfilmer Prof. Heinz Sielmann ist besonders durch die langjährige Fernsehserie „Expeditionen ins Tierreich“ bekannt geworden. 1988 dokumentierte er in seinem Film „Tiere im Schatten der Grenze“ die schon damals bemerkenswerte Artenvielfalt entlang der einstigen innerdeutschen Grenze im Eichsfeld, der landschaftlich faszinierenden und traditionsverbundenen Region am Harzrand. Damals konnte er noch nicht ahnen, dass die Grenze ein gutes Jahr später fallen würde... Und dann hieß es schnell handeln! Auf Initiative des B.U.N.D. kamen 1989 mehr als 400 Naturschützer in Hof zusammen, die die Chance erkannt hatten, diese großartigen Refugien entlang des gefallenen Todesstreifens für eine Mensch und Tier zugute kommende Lebenslinie quer durch Deutschland zu bewahren.
Artenreiche Schatzkiste auf dem Wanderweg
Seit 2003 hat die Heinz Sielmann Stiftung auf Gut Herbigshagen bei Duderstadt die Verantwortung für das 130 km lange Teilstück entlang des alten „Kolonnenwegs“ übernommen und arbeitet konsequent daran, das Gebiet ökologisch aufzuwerten. Projektleiter Holger Keil schwärmt: „Hier gibt es so viel zu entdecken. Das ist fantastisch. Wenn ich hier mit einer Besuchergruppe stehe und über uns kreist der Rotmilan, ist dieses direkte Erlebnis überzeugender als 1.000 Worte.“
Er hat Recht – und mich muss mein engagierter Führer auf dem 8 km langen, gut beschilderten Wanderweg auch gar nicht mehr überzeugen. Ich bin begeistert und freue mich über jeden Vogel, dem wir begegnen und frage nach einzelnen Pflanzenarten, die ich in meiner Kindheit zum letzten Mal gesehen habe. Unseren Ausflug genieße ich als bereicherndes, fast meditatives Erlebnis. Und dann begegnen wir glücklicherweise auch noch der riesigen Schafherde, durchmischt mit wenigen Ziegen, die für die Landschaftspflege am Grünen Band zuständig sind – mit professioneller Unterstützung eines Schäfers natürlich.
Natürlich hat solch ein großes Projekt, von dem wir nur einen kleinen Teil erkunden können, auch seine Tücken. Im Abschnitt, der im Verantwortungsbereich der Heinz Sielmann Stiftung liegt, gibt es allein 25.000 Grundeigentümer – die können natürlich nicht alle einer Meinung sein. „Da hilft nur der Austausch, das Gespräch, die Information“, so Holger Keil, „wir zwingen niemanden, mitzumachen. Es läuft alles auf freiwilliger Basis – und dass gerade beim Thema der innerdeutschen Grenze auch viele Emotionen mitspielen, ist selbstverständlich. Wir sind auf einem guten Weg, mit den verschiedensten Interessensgruppen zu kommunizieren und haben zum Glück viele, viele Befürworter, die erkennen, welch große Chancen in diesem Projekt für den Naturschutz und auch für einen sanften (Natur)Tourismus in der gesamten Region liegen.“
Im Frühsommer 2014 sollen die Fördermittel für die Projektphase 2 beim Bundesumweltministerium beantragt werden. Dabei geht es um ein Gebiet von 9.500 Hektar Fläche, größtenteils in Thüringen gelegen. Dank der intensiven Informationsarbeit in der Vergangenheit haben sich bereits mehr als zwei Drittel der Eigentümer für das Projekt ausgesprochen bzw. zumindest ihre Akzeptanz signalisiert.
Auch der Freistaat Thüringen zieht hier mit der Heinz Sielmann Stiftung an einem Strang. Es gibt sogar Überlegungen, die Thüringer Landgesellschaft mbH als Dienstleister für die Landesregierung zu beauftragen, um die Gespräche und Verhandlungen zur Flächennutzung mit den Pächtern und Flächeneigentümern zu führen. Gleiche Überlegungen gibt es im Umweltministerium in Niedersachsen. Auch hier soll die Landgesellschaft als Dienstleister für das Land auftreten und die Verhandlungen übernehmen. Das ändert das Gewicht der Verhandlungsbasis und stärkt den Willen zur Umsetzung des Naturschutzgroßprojektes.
Natur und Geschichte am „West-Östlichen Tor“
Wir kommen zum „West-Östlichen Tor“ auf dem Kutschenberg bei Ecklingerode nahe Duderstadt. Das Landart-Projekt aus zwei mächtigen in den Himmel ragenden Eichenstämmen, die auf dem Boden mit Edelstahlschwellen verschweißt und mit jungen Eichen umpflanzt sind, wurde 2002 von Michael Gorbatschow eingeweiht. Anka Förster und Robert Schätzle symbolisieren in diesem Kunstwerk das Trennen, Öffnen, Verbinden und Vergessen, aber auch die internationale Bedeutung des Projekts in seiner ganzen Dimension. Das gesamte Grüne Band erstreckt sich nämlich über eine Länge von 12.500 km durch ganz Europa, überall dort, wo früher der Eiserne Vorhang stand und bietet aufgrund zahlreicher verschiedener Landschaftstypen vielen auf der Roten Liste stehenden Tierarten wieder einen Lebensraum.
Vom West-Östlichen Tor eröffnet sich uns ein wunderbarer Blick auf eine hügelige Landschaft. In der Ferne sehen wir den Sonnenstein, das Ohmgebirge bei Duderstadt und das Eichsfelder Becken. Und sogar den Brocken kann man erspähen.
Hautnahes Erleben auf Gut Herbigshagen
Was natürlich bei unserem Ausflug nicht fehlen darf, ist ein Besuch auf Gut Herbigshagen, dem Sitz der Heinz Sielmann Stiftung. Helle, aufgeregte Kinderstimmen empfangen uns schon vor der Cafeteria auf dem großen Hof. Die Kleinen können bedrohte Nutztierrassen wie Harzer Rotvieh, Thüringerwald Ziege oder Skudde anschauen oder sich auf dem Kletterparcour austoben. Sie können beispielsweise am Libellenteich oder an der Insektennistwand spielerisch viel Wissenswertes erfahren und vom KiKA-Baumhaus aus in die faszinierende Umgebung blicken. Hier pilgern tagsüber viele Familien mit Kindern hin, um Spaß und Umweltbildung für ihren Nachwuchs zu kombinieren. Eine multimediale Ausstellung über das Leben und Wirken Prof. Heinz Sielmanns rundet das Angebot ab. Auch „abgeben“ kann man die Mädchen und Jungen verschiedener Altersklassen hier (nur nach Voranmeldung), wenn wieder einer der vielen Natur-Erlebnistage des anerkannten Regionalen Umweltbildungszentrums (RUZ) des Landes Niedersachsen auf dem Programm steht. Kein Wunder, dass dieses idyllisch gelegene Gut sich auch immer mehr als beliebtes Ziel für Klassenfahrten oder Betriebsausflüge etabliert.
Steiler Fall am Lindewerrablick
Nach einem guten Cappuccino fahren wir zu einer weiteren lohnenswerten Station des Grünen Bandes. Gut 40 km weiter südwestlich in Richtung Witzenhausen verläuft das Grüne Band durch das Waldgebiet des Höheberges bis zum Lindewerrablick. Gewaltige 300 m fällt das Gelände dort steil zur Werra hinab. Eine abwechslungsreiche Landschaft mit Pionierwäldern der Birke, Aspe und Kiefer sowie vereinzelte kleine Heideflächen prägen das Bild. Durch das Waldgebiet des Höheberges selbst streift sogar die Wildkatze, eine der besonders seltenen Tierarten des Grünen Bandes Eichsfeld-Werratal. Die hoffe ich, beim nächsten Besuch zu sehen. Und ebenso möchte ich dann im Grenzlandmuseum Eichsfeld die historische Dimension des Grünen Bandes vertiefen.
Von Gerrit Prinssen, freie Journalistin und Texterin, Hannover