In Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide südwestlich von Berlin kommen sie noch vor: Urzeitkrebse. Sie stammen aus der Zeit der Dinosaurier und haben ihre Erscheinungsform seit mehr als 200 Millionen Jahren kaum verändert.
Zum Überleben sind die „lebenden Fossilien“ auf Pfützen und andere temporäre Stillgewässer angewiesen, wie sie auf den Panzertrassen des ehemaligen Truppenübungsplatzes Döberitzer Heide reichlich vorhanden sind. Der Boden wurde dort durch die jahrzehntelange Befahrung mit schweren Militärfahrzeugen stark verdichtet, sodass sich in den Bodenkuhlen und Fahrrinnen das Regenwasser sammelt und große Pfützen bildet. Diese beherbergen die beiden Urzeitkrebsarten Triops cancriformis und Branchipus schaefferi.
Urzeitkrebseier überdauern Jahrzehnte im Boden
Beide Arten sind in Deutschland je nach Region vom Aussterben bedroht oder stark gefährdet. Die weiblichen Tiere bilden nach Erreichen der Geschlechtsreife so genannte Dauereier oder Dauerstadien aus, die viele Jahre, teils sogar Jahrzehnte im Boden unbeschadet überstehen können.
Unter den passenden Bedingungen erwachen die Urzeitkrebse von April bis November zum Leben. Liegen die Dauereier in einer Mulde und diese füllt sich in der wärmeren Jahreszeit mit Regenwasser, schlüpfen die Krebse innerhalb von 48 Stunden. Dafür sollte das stehende Gewässer besonnt sein und sich schnell erwärmen. Die Lebensspanne der Krebse ist recht kurz und sie bleiben klein. Branchipus schaefferi erreicht eine Länge von zwei bis vier Zentimetern, Triops cancriformis wird im Durchschnitt sechs bis acht, in seltenen Ausnahmen bis zu zehn Zentimeter groß. Zur Ausbildung neuer Eier reichen ihnen meist wenige Wochen.
Truppenübungsplätze bieten Lebensraum für Spezialisten
Das Paradoxe an Truppenübungsplätzen wie der Döberitzer Heide ist: Hier wurden über Jahrzehnte hinweg Krieg und Zerstörung geprobt und gerade dadurch konnte sich eine besondere Tier- und Pflanzenwelt erhalten.
Die heutige Trassenbefahrung durch einen zivilen Panzer imitiert die Bedingungen, unter denen die Urzeitkrebse überlebt haben. Sie ist Teil der Landschaftspflegemaßnahmen, die in den Wintermonaten in der Döberitzer Heide stattfinden. Die einzelnen Trassenabschnitte werden bis zu sechs Mal hintereinander befahren, um den gewünschten Erfolg zu erreichen. Die Befahrung wird möglichst bei feuchter Witterung vorgenommen, um die Verdichtung und Abschlämmung der feinen Bodenteilchen zu erleichtern.
Naturschutzfachliche Landschaftspflege für mehr Biodiversität
Die Landschaftspflegemaßnahmen wirken ähnlich wie die Störung der Vegetation durch Militärfahrzeuge. Sie schaffen Verhältnisse, die vergleichbar mit dem Ende der letzten Eiszeit sind, als die Endmoränenlandschaft entstand.
Erosion und andere dynamische Prozesse, die auf landwirtschaftlichen Flächen unerwünscht sind, sind in der Döberitzer Heide in Teilbereichen gewollt. Wind und Wasser sollen den Boden angreifen und auf diese Weise passenden Lebensraum für seltene Insekten, Gräser und Vögel herstellen. Die hohe biologische Vielfalt vor Ort wird auf diese Weise erhalten und weiter gefördert.
HINTERGRUND
Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide
2004 kaufte die Heinz Sielmann Stiftung 3650 Hektar des ehemaligen Truppenübungsplatzes „Döberitz“ am westlichen Rand von Berlin, um die Fläche langfristig für den Naturschutz zu sichern. Die abwechslungsreiche Landschaft beheimatet viele verschiedene Lebensraumtypen und genießt deshalb höchsten Schutz. Das ehemals militärisch genutzte Gelände enthält die beiden großen Naturschutzgebiete (NSG) „Döberitzer Heide“ und „Ferbitzer Bruch“ und ist auch als Fauna-Flora-Habitat (FFH) anerkannt.
Offene Sandflächen, Mager- und Trockenrasen, lichter Wald und sonnenbeschienene Waldränder ermöglichen eine große Artenvielfalt an Tieren und Pflanzen. Wegen seiner großen Vogelvielfalt ist Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide zugleich Vogelschutzgebiet von internationaler Bedeutung, so genannte Special Protected Areas (SPA) und Important Bird Areas (IBA).
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