Sie erzeugen fruchtbaren Humus, halten Schimmelpilze und unliebsame Insekten in Schach – und bleiben die meiste Zeit unbemerkt: Winzige Tiere, die sich mit bloßem Auge gerade noch so erkennen lassen. „Dabei kann ihre Rolle in der Natur gar nicht hoch genug geschätzt werden“, sagt Dr. Jörg Müller, Verantwortlicher für ökologisches Monitoring bei der Heinz Sielmann Stiftung. „Es lohnt sich, in der Natur einfach mal innezuhalten und das Umfeld in nächster Nähe genau zu inspizieren“, sagt der Experte: „Selbst wo man sich zufällig hinkniet, entdeckt man noch die wunderlichsten Tierchen.“ Wir stellen sieben von ihnen vor – manche sind selbst jetzt noch im Winter aktiv.
Sandkorngroße Schneckenhäuser
Die Punktschnecke (Punctum pygmaeum) hält, was ihr Name verspricht. „Mit ihren maximal 1,6 Millimetern Durchmesser ist sie so klein wie ein Punkt, den ein weicher Bleistift auf dem Papier hinterlässt“, sagt Müller. Damit gilt sie als kleinste Gehäuseschnecke Deutschlands: Dass es sich tatsächlich um einen lebendigen Organismus handelt und nicht um ein Sandkorn, zeigt sich spätestens, wenn sie langsam davonkriecht. Die Punktschnecke lebt in der Bodenstreu und im morschen Holz zahlreicher Wälder, wo sie verrottendes Pflanzenmaterial frisst. Den ganzen Sommer über legt sie Eier, aus denen nach zwei bis drei Wochen der Nachwuchs schlüpft. Rund 200 Tage dauert so ein Schneckenleben. Findet sie keinen Paarungspartner, ist sie auch zur Jungfernzeugung fähig.
Der Bunte Kugelspringer (Dicyrtomina ornata) zählt trotz seiner maximal 1,8 Millimeter Größe zum wichtigsten Bodenpersonal in feuchten Wäldern. Auch über Wasseroberflächen kann dieser kleine Sechsfüßer problemlos laufen. Er frisst Pilze, Flechten und sich zersetzendes Pflanzenmaterial und macht daraus wertvollen Humus. „Im Herbstwald, wo reichlich Laub anfällt, haben der Bunte Kugelspringer und andere Springschwänze besonders viel zu tun“, sagt Müller. Im Winter hält sich die Art an Baumstämmen auf, wo sie sich anhand ihres kugeligen, violett-gelben Hinterleibs mit etwas Geduld entdecken lässt – auch von Meisen, die sich an den Tierchen gütlich tun.
Ein Winzling unter den Winzlingen
Weitaus weniger auffällig gefärbt sind hingegen die Zwergkäfer, zu denen auch Nephanes titan gehört. Anders als sein wissenschaftlicher Name vermuten lässt, ist er ein absoluter Winzling unter den Winzlingen. Auf maximale 0,65 Millimeter Körpergröße bringt es diese Art – etwas weniger als die Dicke eines Fingernagels. Auch dieser Käfer lebt von verrottendem Pflanzenmaterial und kommt in vielen Wäldern Mitteleuropas vor. Was seine unscheinbare Gestalt verbirgt: Wie bei allen Zwergkäfern ruht unter seinen braunschwarzen Flügeldecken ein Paar mehrfach gefalteter, langer Flügel, die wie Vogelfedern fein gefiedert sind. Deshalb werden die Tiere auch „Federflügler“ genannt.
Der Wasserzwerg (Plea minutissima) ist ein Rückenschwimmer: Die maximal drei Millimeter kleine Wanze rudert mit ihren sechs Beinen unter der Wasseroberfläche zahlreicher Gewässer in Mitteleuropa, zum Beispiel in den Weihern von Sielmanns Biotopverbünden in der Bodenseeregion. Sie jagt unter anderem Mückenlarven und reduziert damit die Zahl der sommerlichen Plagegeister. Eine hauchdünne Luftblase, die den Körper umgibt, versorgt den Wasserzwerg unter Wasser mit Sauerstoff. Obwohl das Tier seit mehr als 200 Jahren wissenschaftlich untersucht wird, konnten ihm Forschende erst vor wenigen Wochen ein großes Geheimnis entlocken: Was man bisher als Wasserzwerg beschrieben hat, umfasst eigentlich zwei Arten, wie genetische Untersuchungen zeigten.
Mini-Biene mit speziellem Speiseplan
Die Distel-Wollbiene (Pseudoanthidium nanum) gehört mit ihren bis zu acht Millimetern Körpergröße zu den kleinsten Bienen Europas. In Deutschland kommt sie zum Beispiel in Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide vor. Als Nahrungsspezialistin ernährt sie sich ausschließlich vom Blütennektar und Pollen ausgewählter Blühpflanzen wie Flockenblumen oder Eselsdisteln und erweist sich dabei wie alle Wildbienen als wichtige Bestäuberin. Ansonsten ist die einzelgängerische Mini-Biene recht anspruchslos: Sie legt ihre Eier in hohlen oder markhaltigen Pflanzenstängeln von Schilf, Brombeeren, Holunder oder Königskerzen ab. Die werden vielerorts jedoch als Unkraut angesehen und entfernt. Bei uns ist die Art daher mittlerweile selten und gilt deutschlandweit als gefährdet.
Die Diebische Zwergameise (Solenopsis fugax) nutzt andere Ameisenvölker aus: Sie gräbt sich in deren Brutkammern vor und stiehlt dort Eier und Puppen, um sie zu fressen. Darüber hinaus ernährt sie sich von Aas und anderen Insekten. Die Arbeiterinnen der Art werden mit ihren höchstens 2,5 Millimetern etwa so groß wie die Dicke einer Bleistiftmine, was sie zur kleinsten in Mitteleuropa heimische Knotenameise macht. Unübersehbar ist dagegen das Spektakel, das sie im Spätsommer veranstalten. Dann bilden die flugfähigen Männchen und Weibchen zur „Ameisenhochzeit“ gigantische, meterhohe Schwärme. „Wie Rauchsäulen standen sie im vergangenen September über den Wiesen von Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide“, erzählt Müller.
Geheimnisvoller Nesträuber
Die Ameisengrille (Myrmecophilus acervorum), die kleinste Langfühlerschrecke Mitteleuropas, führt dagegen ein verstecktes Dasein. Das maximal vier Millimeter große Tierchen lebt ebenfalls in den Bauten verschiedener Ameisenvölker. Was es dort macht? „Vermutlich ernährt es sich von der Ameisenbrut oder anderen verwertbaren Dingen, die es in den Bauten findet“, sagt Müller. Ganz genau weiß das noch niemand: Ameisengrillen werden nur selten entdeckt du sind daher kaum erforscht, obwohl sie eigentlich weit verbreitet sind. Selbst der Biodiversitäts-Experte Müller bemerkte sie nur zufällig in Ameisennestern in Sielmanns Naturlandschaften Döberitzer Heide, Tangersdorfer Heide und Wanninchen in Brandenburg.