Die am 23.02.2018 in Science veröffentlichte Studie enthält zwei zentrale Aussagen:
Erstens sind die aus archäologischen Funden bekannten sogenannten „Botai-Pferde“ aus Nordkasachstan nicht die (alleinigen) Vorfahren der heutigen Hauspferdrassen. Das ist neu und sehr interessant, weil es bedeutet, dass es vor 5.000 - 6.000 Jahren noch andere, bisher nicht lokalisierte, frühe Zentren der Hauspferddomestikation in Vorderasien gegeben haben muss, die einen großen Beitrag zum heutigen Genom der Hauspferde geleistet haben. Dies ist also eine Erweiterung des bisherigen Kenntnisstands zur Hauspferddomestikation, aber es war auch nicht wirklich zu erwarten, dass dort schon alle Fragen geklärt sind und keine neuen genetischen oder archäologischen Erkenntnisse zu erwarten wären.
Die zweite und im Originalartikel gemachte Aussage betrifft die Przewalski-Pferde. Diese Behauptung hat es aufgrund ihrer Griffigkeit in die Medien geschafft. Hier formulieren die Autoren aufgrund ihrer genetischen Untersuchungen die Interpretation, dass die Vorfahren der heutigen Przewalski-Pferde entlaufene „Botai“-Hauspferde und demnach keine „echten“ Wildpferde seien.
Kreuzungen mit Wildpferden wahrscheinlich
Schon länger ist bekannt, dass die frühen Halter für die Zucht ihrer „Botai“-Pferde sowohl auf lokale Wildpferde als auch auf „Pferdeimporte“ aus Vorder-, bzw. Westasien zurückgegriffen haben und dass es im Genom des heutigen Przewalski-Pferds alte Reste von Hauspferd-DNA gibt. Dies ist auch nicht überraschend, wenn man sich vor Augen führt, wie früher Hauspferde in Zentralasien gehalten wurden. Seit es in Zentralasien Hauspferde gibt, muss es immer wieder zu Kreuzungen mit Wildpferden gekommen sein, alles andere wäre völlig unrealistisch.
Aufgrund der publizierten Ergebnisse lässt sich nicht eindeutig folgern, dass das Przewalski-Pferd ein verwilderter Nachkomme des domestizierten Pferdes aus der Botai-Kultur ist. Es ist ebenso wahrscheinlich, dass vor fünfeinhalbtausend Jahren die wilden "Przewalski", d.h. ihre Vorfahren, eine Quelle von Pferden für die Botai-Züchter gewesen sein könnten. Auch wenn dies nicht der Fall ist, bestätigte der Artikel in Science nur, dass das Przewalski der letzte Vertreter einer Linie von wilden Pferden ist, die östlich der Wolga lebten.
Einzigartige Stellung des Przewalski-Pferdes bestätigt
Alle anderen zeitgenössischen Pferde stammen aus einer anderen "europäischen" Linie. Ob es sich bei dem Przewalski tatsächlich um das letzte Wildpferd oder um ein Wildpferd handelt, das seit mehr als fünftausend Jahren in freier Wildbahn lebt, spielt für seine Einzigartigkeit und Bedeutung keine Rolle. Kürzlich sagte Professor Beth Shapiro von der Universität Kalifornien: "Das Wort 'wild' für 'verwildert' zu tauschen ist eine semantische Veränderung, die ihre Evolutionsgeschichte besser widerspiegelt, nicht aber ihren Status ändern sollte. Wir sollten Przewalski-Pferde weiterhin als eine Population von wilden Pferden schützen."
In den Zusatzdaten zum Science-Artikel eröffnen die Autoren sogar selber eine etwas komplexere Erklärung, die der Wahrheit wohl auch näher kommt. Sie schreiben, dass es sich wohl um eine vielschichtige Ausgangslage mit verschiedenen Populationen von Wildpferden und einem umfangreichen Genfluss zwischen diesen und den frühen Hauspferdpopulationen gehandelt haben muss. Die Autoren bestätigen zudem, dass sie nur in einem der sieben untersuchten Przewalski-Pferde DNA-Reste der „Botai“-Pferde gefunden haben.
Hieraus ergeben sich weitere Fragestellungen. Wir dürfen nun neuen, spannenden Forschungsergebnissen zu diesem faszinierenden Themenspektrum entgegensehen. Die Zurückweisung des Przewalski-Pferdes als "letztes wildes Pferd" war möglicherweise etwas verfrüht. Trotz aller Diskussionen und Unsicherheiten ist aber eines klar: Die einzigartige Stellung des Przewalski-Pferdes, welches mit keinem anderen heute noch lebenden Pferd verwandt ist, wird durch die Studie erhärtet und bleibt unverändert.