Der Verlust der Vielfalt: Orchideen verschwinden
Im Frühsommer betupfen die rosa leuchtenden Blütenstände von Orchideen die Feuchtwiesen im Ferbitzer Bruch mit farbigen Akzenten. Das satte Grün wird aufgelockert von Blutweiderich, Gilbweiderich, Kleinem Baldrian und Weidenblättrigem Alant. Noch vor 15 Jahren wurde das Landschaftsbild des Niedermoors von Sauergräsern und buntblumigen Stauden geprägt. Im europäischen Naturschutzrecht haben diese Lebensräume Nummern: Hinter den bürokratischen Zahlen 6410, 6430 und 7140 verbirgt sich eine Kulturlandschaft, die durch das jahrhundertelange Zusammenspiel von Mensch und Natur entstanden ist. Es ist eine Kulturlandschaft, die durch Beweidung und Mahd in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft entstanden ist. Im Jahr 1996 wurde das über 1.150 Hektar große Gebiet wegen seiner außergewöhnlichen Artenvielfalt gesetzlich unter Naturschutz gestellt. Seit Jahrzehnten bemühen sich Naturschützer um den Erhalt der Lebensräume. Doch seit dem Sommer 2018 verändert sich das Ferbitzer Bruch rasant. Die Wiesen, Moore und Kleingewässer leben vom Niederschlag. Die trockenen Sommer der letzten Jahre haben dem Schutzgebiet das Lebenselixier genommen. „Das Landschaftsbild hat sich innerhalb kürzester Zeit massiv verändert. Empfindliche und deutschlandweit gefährdete Pflanzenarten wie Helm-Knabenkraut, Natternzunge oder Pracht-Nelke werden immer seltener. Dafür kartieren wir häufiger Allerweltsarten wie Wiesen-Margerite, Spitz-Wegerich oder Acker-Kratzdistel, die mit Trockenheit umgehen können“, erläutert Jörg Fürstenow, der für die Heinz Sielmann Stiftung die botanischen Kartierungen durchführt. Weiter erklärt er: „Früher war das Ferbitzer Bruch ein Refugium für seltene Pflanzenarten, die deutschlandweit mindestens als gefährdet im Bestand eingestuft werden. Filz-Segge, Sumpf-Herzblatt oder Lungen-Enzian sind allerdings bereits verschollen oder kurz davor im Gebiet auszusterben.“
Fünf Dürresommer in Folge
Seit 16 Jahren stehen das Ferbitzer Bruch und seine Bewohner unter Beobachtung. Auf Dauer-Untersuchungsflächen werden regelmäßig Vegetation und Bodenfeuchte registriert. Die Daten zeigen, dass das verfügbare Grundwasser immer weiter absinkt. Daher sind Arten wie der Kleine Baldrian oder das Mädesüß, die kennzeichnend für feuchte Standorte sind, seltener geworden oder ganz verschwunden. Mit ihnen verändert sich auch die Tierwelt: die besonderen und nach ihnen benannten Schecken- und Perlmutterfalter finden ihre Nahrungspflanzen nicht mehr. Auch ihr Bestand geht zurück. Diese Veränderung des Ökosystems ist ein Indikator für eine bedrohliche Entwicklung. Ein Lebensraum der Jahrhunderte bestand, verschwindet innerhalb weniger Jahre. Die Austrocknung des nassen Niedermoorbodens führt zur weiteren Freisetzung von gespeichertem CO₂. Eine Kettenreaktion tritt ein, die die Veränderungen des Ökosystems beschleunigt und wie ein Katalysator für den Verlust weiterer Arten wirkt.
Feuchtgebiete spielen eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel
Feuchtgebiete wie das Ferbitzer Bruch sind natürliche CO₂-Speicher. Solche Feuchtgebiete bedecken nur ein Prozent der Erdoberfläche, speichern aber 20 Prozent des Kohlenstoffs, den Ökosysteme weltweit binden, wie eine aktuelle Studie der Universität Utrecht festgestellt hat. Durch die Austrocknung wird diese CO₂-Senke zu einer Quelle des klimaschädlichen Gases. Die Heinz Sielmann Stiftung sucht nun gemeinsam mit Partnern und Akteuren vor Ort nach Möglichkeiten diesen Prozess wieder umzukehren. In einem millionenschweren Artenschutzprojekt soll der Wasserhaushalt in der Landschaft stabilisiert werden. Bevor der Niederschlag in die Havel abfließt, kann das Wasser länger im Ferbitzer Bruch zurückgehalten werden. Dies kann dazu beitragen den Klimawandel zu bremsen und die Artenvielfalt zu bewahren.