Überraschende Begegnungen
Verschollene und neue Arten entdeckt
von Caroline Hübenbecker
Überraschende Begegnungen
Verschollene und neue Arten entdeckt
von Caroline Hübenbecker
Der Lazarus-Effekt
Man nennt es Lazarus-Effekt, wenn Wissenschaftler Arten finden, die als ausgestorben gelten. Immer wieder stoßen wir in Sielmanns Naturlandschafen und Biotopverbünden auf verschollen geglaubte oder dort über Jahre nicht mehr anzutreffende Tiere, Pflanzen oder Pilze.
Diese Funde belegen die herausragende Artenzusammensetzung in den Landschaften und Projektgebieten der Heinz Sielmann Stiftung. Besonders bei Insektenarten lässt sich beobachten, wie erfolgreich unser Engagement für mehr Biodiversität als Fundament einer intakten Natur ist.
Buntblumige Wiesen, ein breites Blütenangebot sowie vielfältige Strukturen mit Büschen und Stauden sind ein wahres Insektenparadies. Sie locken zahlreiche Wildbienen, Schwebfliegen, Schmetterlinge aber auch Käfer und Wanzen an, sowie jene Tiere, die sich von ihnen ernähren.
Außergewöhnlich seltene Spinne entdeckt
Eine interessante Jagdtechnik wenden Springspinnen an, die sich anschleichen und dann mit einem weiten Zielsprung ihr Opfer überrumpeln. Der Wipfelspringer (Carrhotus xanthogramma) bedient sich einer solchen Methode.
In Norddeutschland ist die Spinne äußerst selten anzutreffen und steht auf der Roten Liste. Als Profiteur des Klimawandels fühlt sich die wärmeliebende Art nun auch in Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen wohl. 2023 war es erst das vierte Mal, dass die Art überhaupt in Brandenburg gesichtet wurde.
Die springende Spinnenart bevorzugt warme, sonnige Plätze an Bäumen und Sträuchern. Diese findet sie in Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen in den Büschen der üppig blühenden Frühen Traubenkirsche.
Der Wipfelspringer ist mit sieben bis neun Millimetern für Springspinnen ziemlich groß. Die Männchen fallen durch ihre orange-braune Farbe und schwarzen Beinen auf. Es lässt sich gut beobachten, wie sie von Blatt zu Blatt, von Zweig zu Zweig springen und sich an potentielle Beute anpirschen.
Über 70 Jahre lang verschollen
Für eine weitere Überraschung sorgte ein ausgestorben geglaubter Käfer, auf den unser Kollege Dr. Jörg Müller stieß: Der Heide-Steppenrüssler (Coniocleonus nebulosus) galt seit 70 Jahren als verschollene Art in Brandenburg und wird auf der deutschen Roten Liste als stark gefährdet eingestuft.
Die Larven des Käfers entwickeln sich vermutlich in den Wurzelstöcken des Kleinen Sauerampfers, der in kargen lückigen Heidebeständen wächst. Der Rüssler scheint eng an seine Futterpflanze und an das Mikroklima der Landschaft gebunden. Verschwindet die Heide, verschwindet der Heide-Steppenrüssler.
Neben dem Heide-Steppenrüssler wurden bislang etwa 1.350 Tierarten in Sielmanns Naturlandschaft Kyritz-Ruppiner Heide nachgewiesen. Viele dieser Lebewesen sind speziell an die trockenen, heißen Bedingungen dort angepasst und kommen nur in diesen extremen Lebensräumen vor.
Ein flatterndes Vögelchen, das nicht zwitschert
Der Tagfalter namens Wald-Wiesenvögelchen (Coenonympha hero) ist ein stark gefährdeter Edelfalter, der lichte Wälder bevorzugt. Besonders für die Entwicklung der Raupen darf es nicht zu trocken sein, weshalb feuchte Waldwiesen beliebte Eiablageplätze für die weiblichen Falter sind.
Bayern ist das einzige Bundesland, in dem noch größere Vorkommen des Wald-Wiesenvögelchens zu finden sind.
In Sielmanns Biotopverbund Pupplinger Au stehen der Schutz und die Entstehung von Schneeheide-Kiefernwäldern im Fokus. Rinder fressen sich durch die Natur und arbeiten gewissermaßen gegen die Verbuschung an. So entsteht unter anderem wichtiger Lebensraum für das Wald-Wiesenvögelchen.
Unerwarteter Fund im Totholz
Der Plattnasen-Holzrüssler (Gasterocercus depressirostris) steht in Deutschland auf der Roten Liste und gilt als stark gefährdet. Als sogenannte Urwaldreliktart kommt er nur in ursprünglichen, naturnahen Wäldern mit alten Eichenbeständen vor.
Wir entdeckten den Käfer in der Döberitzer Heide in Brandenburg, wo alte, kranke und tote Bäume zum Wohl der Artenvielfalt verbleiben dürfen.
Der Plattnasen-Holzrüssler ist auf abgestorbene und absterbende Eichen angewiesen. Unter die Rinde ihrer Stämme oder dickeren Äste legt der seltene Käfer seine Eier ab. Die daraus schlüpfenden Larven fressen anschließend kreisrunde, senkrechte Gänge in das weiche Material des morschen Holzes.
Seltener Schilfbewohner
Auf einer Projektfläche in Starnberg im südlichen Bayern traf ein Mitarbeiter der Heinz Sielmann Stiftung kürzlich auf eine Spinne mit besonderem Augenaufschlag. Der Schilf-Streckspringer (Mendoza canestrinii) trägt seitlich der Frontalaugen jeweils zwei dichte Büschel langer Borsten.
Auffallend ist der stark verlängerte Körperbau der bis zu 12 Millimeter großen Springspinne, der optisch durch die nach vorn und hinten gestreckten Beine besonders lang wirkt.
Der Schilf-Streckspringer ist vor allem im Mittelmeerraum beheimatet und dort an den Ufern von Teichen und Gräben zu finden. Im Sommer versteckt sich die Spinne in Schilfrispen und im Winter zieht es sie unter die Blattscheiden von Rohrkolben.
Nach 170 Jahren wiederentdeckt
Auf der Hinterlassenschaft eines Przewalskipferdes in der Döberitzer Heide wurde nach 170 Jahren eine in Brandenburg lange verschollene Schlauchpilzart gefunden, die Punktierte Porenscheibe (Poronia punctata). Sie war in diesem Bundesland zuletzt 1843 gesichtet worden.
Die Punktierte Porenscheibe gilt in Deutschland als vom Aussterben bedrohte Art. War der Pilz Anfang des 19. Jahrhunderts noch verbreitet, wird er in Mitteleuropa nur noch sehr selten gefunden und gilt in einigen Ländern Europas bereits als ausgestorben.
In der Döberitzer Heide findet die Punktierte Porenscheibe was sie braucht: Dunghaufen von Wisent und Wildpferd auf mageren Wiesen und halboffenen Waldbereichen mit dünner Bodenvegetation. Durch Antibiotika, Dünger oder Kraftfutter veränderter Dung würde dem seltenen Pilz keine Lebensgrundlage sein.
Wiederentdeckte Spinne gibt Hoffnung
In den Hangquellmooren von Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen entdeckte unser Kollege im März 2024 das Feder-Zwergstachelbein – nahezu exakt an der gleichen Stelle, wo sie vor fast 50 Jahren zuletzt gesichtet worden war, bevor sie in Brandenburg als ausgestorben galt.
Diese sensationelle Wiederentdeckung macht Hoffnung: Die gerade einmal 2 Millimeter große Zwergspinne hat besondere Ansprüche an ihren Lebensraum, zu dem neben Mooren und Feuchtwiesen auch Küstendünen und Heidelandschaften zählen.
Hier im Hangquellmoor Wanninchens existiert eine Pflanzengemeinschaft, die man sonst eher im Nordwesten Mitteleuropas findet. Damit sind diese Moore ein echtes ökologisches Highlight.
Insgesamt 23% der bei der Erfassung gefundenen Spinnenspezies sind Arten auf der Brandenburger Roten Liste, die auch deutschlandweit mindestens als gefährdet gelten. In Brandenburg wurden sie bisher ausschließlich in den drei Mooren der Heinz Sielmann Stiftung gefunden.
Spazieren Sie durch Sielmanns Naturlandschaften und Biotopverbünde und lassen Sie sich von der reichen Artenvielfalt überraschen. Wer weiß, vielleicht finden Sie die nächste verschollen geglaubte Art...
Über den Autor
Caroline Hübenbecker
Caroline Hübenbecker ist bei der Heinz Sielmann Stiftung Referentin für Web- & Community-Management.
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